Freitag, 23. Dezember 2016

Finanzierungsvertrag: geheimer Blankoscheck für Stuttgart 21

Bahnchef Grube wird das Land Baden-Württemberg und die anderen Projektpartner noch vor Weihnachten vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht auf Finanzierung von Projektmehrkosten für Stuttgart 21 verklagen, aber ihm ist wie allen Projektpartnern offensichtlich gar nicht wohl dabei. Laut SPIEGEL online bekannte er kürzlich in einer Runde von Bahnfachleuten: Ich habe Stuttgart 21 nicht erfunden und hätte es auch nicht gemacht.“ Deutlicher kann man ein Projekt wohl nicht zu einem Un-Projekt erklären, dass schon sein VorVorgänger als Bahnchef Johannes Ludewig Ende der 90er Jahre in kluger Voraussicht wieder zu den Akten legen wollte. Wie die Stuttgarter Zeitung vom 22.12.2016 berichtet, zeichnen sich jetzt schon Klagen der Projektpartner im Lande gegeneinander ab. Immer deutlicher zeichnet sich ab, dass das Drama S21 zur Posse gerät.
In einem Interview für die Stuttgarter Zeitung beklagte der heutige Bahnchef Grube sich kürzlich über zwei Dinge:
1.
den Finanzierungsvertrag und 2. den „Kostendeckel“. Den Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 hatte noch sein Vorgänger Hartmut Mehdorn nur einen Monat vor Grubes Amtsantritt noch schnell Ministerpräsident Oettinger unter Dach und Fach gebracht. Nun darf Grube die ihm von Oettinger, Mehdorn und anderen eingebrockte Suppe auslöffeln.
Zweitens beklagte Grube sich treuherzig: „Alle Partner behaupten, bei den Kosten gedeckelt zu sein, nur die Bahn nicht. Das ist bei keinem anderen Projekt der Bahn so.“ Ja so was! Warum „deckelt“ denn der Bauherr und Vertragspartner Bahn nicht seine Kosten? Normaler Weise wird in einem Kaufvertrag die Lieferung einer bestimmten Leistung innerhalb eines gewissen Zeitraums und die Bezahlung eines festen Preises, also ein „Kostendeckel“ vereinbart. Kann dann der Anbieter die Leistung nicht zu den von ihm vorgesehenen Kosten erbringen, dann ist das sein Problem und nicht das des Käufers. Dieser Marktmechanismus sollte nach den Vorstellungen der Bundesregierung aber offensichtlich für den Pflegefall Deutsche Bahn AG – m. E. jenseits aller Marktgesetze und sittenwidrig – zugunsten des Bundes außer Kraft gesetzt werden.
Im Ländle hatte man sich das jedoch offensichtlich ganz anders vorgestellt. Man meinte ein „Jesus“ Schnäppchen zu machen. Am 20. Oktober 2010, also eineinhalb Jahre nach Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags und ein Jahr vor der Volksabstimmung über den Finanzierungsvertrag erklärte der Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag Peter Hauk vor Senioren seiner Partei in Hirschberg: „Ob das jetzt zehn oder fünfzehn Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein.“ (https://archiv.hirschbergblog.de/2010/10/25/cdu-spitzenpolitiker-peter-hauk-…) während der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann laut ZEIT-online vom 14.02.2013, also noch zwei Jahre später beteuerte: "Als Stuttgarter sage ich aber: Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen Milliarden in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück – und dann wollen wir es nicht haben?" (http://www.zeit.de/2013/08/Stuttgart-21-Konflikt-Zukunft) Beide verbreiteten also die frohe Botschaft eines satten Schnäppchens.
Nun kann es Grube als Kläger letztlich gleichgültig sein, wer zahlt, Hauptsache, Projekt und Job laufen. Der Ausgang ist einigermaßen vorhersehbar. Die Justiz wird einen freiwilligen Kompromiss ins Spiel bringen, dem die nur so glimpflich davon Kommenden hinter der Hand erleichtert zustimmen werden. Zu dem faulen Kompromiss dürfte es jedoch vor allem deswegen kommen, weil da jemand gewissermaßen mit sich selbst streitet. CDU und SPD in Bund mit CDU und SPD in Land, Region und Gemeinderat.
Der Finanzierungsvertrag ist das Vertragswerk eines an der Oberfläche gegenseitigen Betruges, im Kern jedoch des Betruges an einem Dritten, dem Wähler, der auch Steuerzahler ist. Dieser Betrug sollte aber doch eigentlich unter allen Umständen unter dem Kostendeckel bleiben. Sehen wir uns einmal die Finanzierungsvereinbarungen zu Stuttgart 21 genauer an, dann ist da zunächst die legendäre „Sprechklausel“: Bei darüber hinausgehenden Kostensteigerungen werden DB AG und Land Gespräche aufnehmen.“ („Memorandum of Understanding“ vom 19.07.2007 III.5) Mit Bezug auf diese Klausel heißt es seitens der Grünen und der SPD immer, die Aufnahme von Gesprächen bedeute noch nicht die Übernahme von Zahlungsverpflichtungen. Das wirkt zunächst einleuchtend. Aber damit werden sie vor Gericht wohl nicht weit kommen. Im Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 heißt es im Unterschied zum Memorandum of Understanding zwei Jahre zuvor z. B. in § 3 (4) schon etwas präziser: „Werden … Kostensteigerungen … nicht durch Einsparungen oder Chancen ausgeglichen, so bedarf es … einer Entscheidung des Lenkungskreises.“ Vereinbart wurden also keineswegs nur Gespräche, sondern auch Entscheidungen.
Außerdem sagt die Sprechklausel auch aus, dass mit „Mehrkosten“ und der Notwendigkeit entsprechender weiterer finanzieller Leistungen zu rechnen war. Dafür spricht auch der vertraglich vereinbarte Verzicht auf Kündigungsrechte in § 15(1) des Finanzierungsvertrags: Eine ordentliche Kündigung dieses Vertrages ist ausgeschlossen.“ Man wusste also nicht nur, dass es teurer werden würde als vereinbart, man verzichtete auch auf das Recht der Kündigung, auch für den Fall, dass es zu teuer würde. Die unverkennbare gemeinsame Absicht des Vertrages war es also, einen Mechanismus der unbegrenzten Zahlungsverpflichtung der Bürger als Steuerzahler zu konstruieren. Mit der Unterzeichnung des Vertrags hat Ministerpräsident Oettinger de facto der Deutschen Bahn AG einen Blankoscheck ausgestellt. Der „Kostendeckel“ der Grünroten Regierung vom Jahr 2011 zur Ablenkung von diesem Kern bedeutet im Grunde Vertragsbruch, wenn man den Finanzierungsvertrag überhaupt als Vertrag unter „ehrbaren Kaufleuten“ ansehen will und nicht als nur informelle und daher unverbindliche Vereinbarung unter „Familienangehörigen“, bei dem es um Verbrauchertäuschung ging wie bei den Abgasskandalen der Automobilindustrie.
Je genauer wir in den Vertrag hineinschauen, um so deutlicher wird also sein betrügerischer Charakter. Gehen wir einmal zurück in der Geschichte des Vertrags, dann stoßen wir auf die sog. Rahmenvereinbarung“ vom 07.11.1995, die erste Finanzvereinbarung zu S21. Als wohl noch ehrbare Kaufleute am Werk waren, hieß es noch: „(1) Die Gesamtkosten des Projektes sind mit ,4,893 Mrd. DM veranschlagt (Preisstand 01/93). (2) … Die Deutsche Bahn AG ist für die Einhaltung dieser Gesamtkosten vorbehaltlich der nachstehend getroffenen Regelungen verantwortlich.“
Ganz anders war das jedoch bereits beim sog. „Memorandum of Understanding“ vom 19.07.2007 unter der Regie des Bundes und unterzeichnet von Ministerpräsident Oettinger. Dort heißt es: „Für die Deutsche Bahn AG … und den Bund als Alleingesellschafter … ist es im Hinblick auf die Zukunft des Unternehmens von besonderem Interesse, dass für die DB aus der Realisierung des Gesamtvorhabens keine unkalkulierbaren Risiken entstehen und dass die Wirtschaftlichkeit dargestellt ist.“ (MoU III.1/ FinV § 2.2) Anscheinend hatte inzwischen unprofessioneller, provinzieller Schnäppchenjäger-Ehrgeiz und Leichtsinn auf Seiten des Ländles über wirtschaftliche und politische Vernunft gesiegt.
Diese Rechtfertigung eines Blankoschecks löste zwar bei einigen wachen Abgeordneten des Landtags Bedenken aus, aber unter Regie von Stefan Mappus als Fraktionsvorsitzendem der CDU) wurde innerhalb von nicht einmal einer Woche das „Eckpunktepapier“ nachgeschoben und von CDU, SPD und FDP am 24.07.2007 vom Landtag verabschiedet. In ihm hieß es: Der Landtag fordert den Bund und die Deutsche Bahn AG auf, das bis an die Grenze finanzieller Belastbarkeit gehende finanzielle Engagement des Landes zu würdigen und im Zuge der Umsetzung keine weiteren Nachforderungen mehr zu stellen.“ Man war sich also im Klaren, dass man sich an die Bahn und das heißt den Bund auslieferte. Mit diesem geschickten Coup wurden endgültig die Weichen für Sprechklausel und Kündigungsverbot, also den Blankoscheck gestellt. Die Sprechklausel aus diesem Zusammenhang zu reißen ist nur irreführend. Die Politik des Landes steht also in der Gefahr, einen Offenbarungseid leisten zu müssen.
Eine noch dreistere Form des Betrugs an den Bürgern des Landes war dann die Volksabstimmung am 27.11.2011. Wir durften, so hieß es in der Abstimmungsformel, mit Nein oder Ja über die „Ausübung von Kündigungsrechten bei vertraglichen Vereinbarungen für das Bahnprojekt Stuttgart 21“ abstimmen, über die Wahrnehmung von Rechten also, die es gar nicht gab. Deutlicher kann eine Kaste ihre Verachtung für vermeintlich dumme und leicht zu begeisternde Bürger wohl kaum noch zum Ausdruck bringen. Andererseits haben sich sogar auch die Projektgegner mit der landesweiten Mobilisierung für die Phantomabstimmung an der Nase herumführen lassen. Auch sie hatten immer noch zu viel Vertrauen in die Ehrlichkeit verantwortlicher Politiker. Die Bürger sollten über die Ausstellung eines Blankoschecks für ein ungeplantes und unberechenbares Projekt getäuscht werden. Welchen Sinn sonst sollten die systematischen Unklarheiten des Finanzierungsvertrags hinsichtlich der Zahlungsverpflichtungen haben? CDU, SPD und FDP waren damals offensichtlich bereit, zu erwartende „Kostenexplosionen“ durchzuwinken. Deswegen ist das wirklich Spannende und für die Demokratie im Lande Wichtige an dem Rechtsstreit zwischen Land und Bund auch nicht dessen finanzieller Ausgang, sondern ob der Betrugscharakter des Finanzierungsvertrags und der Volksabstimmung sichtbar wird. Weder der von den Regierungskabinetten beschlossene bzw. bestätigte „Kostendeckel“ noch das Ergebnis der Volksabstimmung ändern juristisch etwas an den nicht nur demokratie-, sondern auch marktwidrigen Vereinbarungen. Es gab keine Ausschreibung, sondern nur ein gentlemen‘s agreement.

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