Dienstag, 19. März 2013

Die Zahlmeister von Stuttgart 21


„Die Zahlmeister von Stuttgart 21“ Leserzuschrift an Spiegel online
Als Anhang: Seite aus Gutachten der Juristen zu S21
reinhart.vowinckelkel@web.de      http://vowinckel.blogspot.com          18.03.2013
           
Sehr geehrter Herr Janssen,
in Ihrem Artikel „Münchhausencheck  Das sind die Zahlmeister von Stuttgart 21“ vertreten Sie die Auffassung: „Es wäre fair, wenn das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart einen Anteil an den Mehrkosten von Stuttgart 21 trügen. Schließlich haben sie der Republik die Sache mit eingebrockt.Das klingt fair, aber nur für solche Leser, die nicht viel über den Konflikt um S21 wissen. Sie haben einiges nicht auf dem Bildschirm. Deswegen ist Ihr Vorschlag unrealistisch. Die Geschichte wird über ihn hinweggehen. Eine faire Lösung wird es nur mit einem Projektabbruch geben. Ich will versuchen, Ihnen dafür Gründe zu zeigen.
I. SCHRECKEN OHNE ENDE ODER ENDE MIT SCHRECKEN?
1. Land und Stadt haben bereits einen Anteil der Projektkosten bezahlt, die Stadt eine halbe Milliarde, das Land eine Milliarde, und das bereits bevor das Projekt begonnen wurde und obwohl Bau und Unterhaltung von Bahnhöfen Bundes- und nicht Ländersache sind.
2. Land und Stadt sollen laut Vorstellungen der Bahn und des Bundes nicht nur einen Anteil an den nicht kalkulierbaren Mehrkosten übernehmen, sondern die gesamten Mehrkosten, auch die zwei Milliarden Mehrkosten, die der Aufsichtsrat der Bahn bereits genehmigt  hat, also aller Wahrscheinlichkeit nach insgesamt einen zweistelligen Milliardenbetrag.
3. Die zu erwartenden Mehrkosten über die bereits festgestellten Kosten in Höhe von 6,5 Milliarden hinaus bewegen sich laut unabhängigen Experten in einer Höhe zwischen 10 bis 15 Milliarden mit Luft nach oben. Die können und sollten weder die Bahn noch Land und Stadt stemmen. Eine derartige Verpflichtung wäre in Zeiten der Staatsschulden- und Eurokrise unverantwortlich.
4. Ein Jahre, vielleicht auch Jahrzehnte andauernder „kalter Krieg“ zwischen Berlin und Stuttgart wäre beim Weiterbau vorprogrammiert, denn es geht um einen Betrug historischen Ausmaßes (s. u.). 
5. Der entschlossene Projektabbruch mit Kosten von einer halben bis zu einer Milliarde auf beiden Seiten, also ein Ende mit Schrecken,  würde dem Ansehen deutscher Ingenieurs- und Regierungskunst weniger schaden als die mit der Fortsetzung des Projekts verbundene Erosion des Respekts vor Bahn, Land und Bund, also ein Schrecken ohne Ende.  

II. ANGST STATT RESPEKT
Sie, Herr Janssen, sehen den Konflikt noch allein von seiner materiellen Seite. Sie  befürchten, dass die Bürger der Bundesrepublik für die Bürger Baden-Württembergs und Stuttgart 21 bluten sollen und bedienen damit auch Gefühle des Neides und der Missgunst. Klar, das muss und darf auch sein. Auch diese Gefühle gibt es nun einmal, und solche Gefühle haben auf der Seite der CDU als vertragsschließender Partei auch eine erhebliche, auch öffentlich bekannt gewordene Rolle gespielt.  Z. B. bei dem CDU-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten und Mitglied des Bundestagsverkehrsausschusses Stefan Kaufmann, dessen Glaubensbekenntnis zu S21 lautet: „Als Stuttgarter sage ich aber: Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen Milliarden in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück – und dann wollen wir es nicht haben.“ (Die Zeit online: „Vorbei aber nicht überstanden“) Er hat in seiner Begeisterung offensichtlich noch gar nicht mitbekommen, dass wir zahlen sollen und das nicht zu knapp, und nichts geschenkt bekommen. Aber derart desorientierte Politiker regieren uns.
Ich halte deswegen den immateriellen Schaden des Projekts für viel schwerwiegender. Wie sicherlich auch Sie wissen, geht es im inzwischen erreichten Stadium der Auseinandersetzungen um S21 eigentlich gar nicht mehr um das materielle Kosten-Nutzen-Verhältnis  des Projekts, sondern um die Machtfrage. Die Regierenden meinen, unter allen Umständen recht behalten zu müssen, damit sie nicht ihre Autorität verlieren.  Die Regierung Merkel und die Vertreter anderer Eliten bis zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle hinauf sehen in irrationaler Verkennung der Proportionen Deutschlands Weltmarkt- und Weltmachtposition und auch ihre eigene Position gefährdet durch den Anspruch deutscher Bürger auf  Elemente direkter Demokratie, wie es sie z. B. in der Schweiz ganz selbstverständlich gibt. Sie sehen in ihnen Staatsfeinde oder zumindest potentielle. Statt Respekt haben sie Angst vor dem selbstbewussten Bürger. Deswegen betrügen Politiker lieber den Bürger und demütigen ihn dadurch, indem sie so seine Intelligenz beleidigen.
Die in Ansätzen bereits selbstbewusste Stuttgarter Protestbewegung  vertritt demgegenüber das Recht der Bürger auf Mitgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse auch über Parlamentswahlen hinaus. Sie setzt auf die stabilere, auf die nachhaltige  Intelligenz des Kollektivs.
Es geht also beiden Seiten um ein  Prinzip. Soll die Staatsgewalt auch vom „dummen“ bzw. für zu dumm gehaltenen Volke ausgehen, wie es die Verfassung vorsieht, oder nur von den „weisen“ und als Profis sich für allein kompetent haltenden Eliten? Deswegen  versuchen die Parteien auch das Thema Demokratie und das heißt auch das Thema Fairness, also das wichtigste Thema weltweit,  wie es sich auch bei S21 stellt,  aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten. Das wird ihnen jedoch nicht gelingen.

III. LUG UND BETRUG
Sie halten fest: „Die Planung des Projekts ist gemeinschaftlich von Bahn, Bund, Land und Stadt verabschiedet worden. Der mittlerweile grün-rot dominierte Stuttgarter Landtag wie auch eine Volksabstimmung Ende 2011 haben zudem den Verbleib das Landes im Projekt bestätigt.“ Alles richtig, aber vergessen Sie es, so radikal und hart das klingen mag. Das alles wird entwertet durch Lug und Trug sowie Inkompetenz der Protagonisten. Dazu einige Beispiele:
1. „ Die GRÜNEN und die SÖS hatten  zu recht darauf hingewiesen,  dass das Land nicht ohne Zustimmung des Gemeinderats die Ausstiegsklausel im Finanzierungsvertrag hätte vereinbaren dürfen (vergl. § 2.2 sowie § 8.4)… Die Ausstiegsklausel erlaubte der Bahn faktisch, das Projekt auch bei voraussichtlichen Baukosten von 4,546 Mrd. € ohne Risikopuffer auszuführen. Der Gemeinderat hatte aber 2007 nur einem Projekt mit Baukosten von 2,8 Mrd. € und einem satten Risikopuffer von 1,32 Mrd. € zugestimmt. Die Fraktionen wollten auf den Risikopuffer nicht verzichten und forderten, dass die Bahn ihre Kalkulation vorher abschließen sollte…(Dr. Schuster) erklärte(daraufhin), die Deutsche Bahn trage als  Bauherrin das Risiko. (Stellungnahme vom 24.09.2009)“  (zitiert aus einem Gutachten der „Juristen zu Stuttgart 21“)  So fegte der OB den Finger von der Wunde. Denn laut Vertrag  trägt die Bahn ausdrücklich keinerlei Risiko (§ 2.2). Das tun ausschließlich Land und Stadt. Also Legitimität der Zahlungsverpflichtung der Stadt? Verlogenheit oder Inkompetenz des OB?
2. Im Finanzierungsvertrag sind die Übernahme irgendwelcher Kostenrisiken durch Bund und Bahn  sowie ein ordentliches Kündigungsrecht und ein Ausstieg aus dem Projekt ausdrücklich ausgeschlossen. So wurde die Unumkehrbarkeit für Land, Region und Stadt von Bund und Bahn rechtlich  zementiert. Was jedoch nicht zementiert wurde, ist die Übernahme der Kostenrisiken durch Land, Stadt usw. Sie wird nur informell und verdruckst angedeutet in der sogenannten Sprechklausel. Diese Klausel ist im Kern ein von Land und Stadt für die Bahn ausgestellter Blankoscheck zur Kostendeckung für noch nicht einmal geplante Risiken. Die Bahn soll und will eben gerade keinerlei Mehrkosten zahlen für das, was sie anrichtet. Genau so wurde es von CDU, FDP und Bahn im Finanzierungsvertrag denn auch geplant. Peu à peu, ohne dass es den Bürgern auffällt, sollte der „Scheck“ eingelöst werden, so wie Grube jetzt nur „von Fall zu Fall“ und erst ab 2016 vor Gericht zu gehen droht, nachdem er wegen des Kostendeckels die Sprechklausel nicht mehr einfach „ziehen“ kann wie den Revolver.
Es ist der Kostendeckel der heutigen grünrosa Landesregierung, der wie eine gezogene Notbremse vor der von der schwarzgelben Vorgängerregierung vertraglich geplanten und aus Angst vor dem Bürger stümperhaft vereinbarten Erpressbarkeit des Landes schützt.  Und darum geht es heute beim Konflikt um Stuttgart 21.
Auch Sie, Herr Janssen, können das bei genauem Hinschauen am Finanzierungsvertrag selbst nachprüfen. Wenn Sie mir das aber nicht abnehmen wollen, so lesen Sie vielleicht der Einfachheit halber die Stuttgarter Zeitung vom 15. diesen Monats. Dort wird, gestützt auf Dokumente aus der Ära Oettinger,  berichtet, was MP Oettinger seinerzeit zu der hastigen Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags veranlasste. Er wollte „keine langen Kostendiskussionen“: „Allein aufgrund  der öffentlichen Debatte habe das Land großes Interesse am schnellen Abschluss der Finanzierungsvereinbarung. Sie mache das Projekt unumkehrbar und helfe, die verunsicherten Bürger auf die Seite der Befürworter zu bringen“. (http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.stuttgart-21-keine-silbe-kritik-zur-kostenexplosion.15c7ee32-faf7-4ce1-8261-6af41100117b.html)
Wenn auch Sie sich auf die parlamentarischen Legitimierungen des Projekts berufen, dann geht es um die Legitimierung genau dieses die Bürger betrügenden Finanzierungsvertrags. Wenn Sie sich das klarmachen, verstehen Sie auch, warum OB Schuster, ein halbes Jahr nach Unterzeichnung des Finanzierungsvertrags nichts wissen wollte von einem Antrag des Gemeinderates, den Vertragsabschluss noch einmal aufzurollen.
3. Auch Sie berufen sich darüber hinaus auf die Volksabstimmung (VA), ebenfalls ein betrügerisches Unternehmen, diesmal allerdings nicht einer CDU-FDP-Regierung, sondern einer grünrosa Regierung. Auf Grund der Bestimmungen der  Landesverfassung blieb diese Abstimmung trotz einer Mehrheit pro Finanzierungsvertrag (gerade einmal 28,9 Prozent der Abstimmungsberechtigten!) rechtlich folgenlos und kann deshalb auch den Finanzierungsvertrag nicht noch einmal legitimiert haben. Sie hat kein Recht geschaffen. Außerdem wurde auch noch über eine Wahrnehmung von Kündigungsrechten abgestimmt, die es, wie bereits erwähnt, gar nicht gibt.
Aber vergessen wir das einmal. Gehen wir wie zuerst MP Kretschmann, dann die SPD, die CDU, die FDP und sogar die Justiz im Lande davon aus, die Volksabstimmung habe doch eine die Politik bindende Kraft, also „Rechtssetzungsmacht“ entfaltet. Dann müssen all die Genannten und auch Sie, Herr Jansen, auch dem von der Landesregierung verkündeten „Kostendeckel“ bindende  Kraft beimessen. Die Abstimmenden durften auf dieses Versprechen vertrauen. Wo bleibt da die Identität der Entscheider und die Ihre?

IV.  KOSTENDECKEL  -   STRICH DURCH DEN FINANZIERUNGSVERTRAG
Alle Projektbefürworter und Projektbetreiber berufen sich auf die in § 16 (10) vertraglich vereinbarte Projektförderpflicht. Aber diese Pflicht umfasst eben nicht auch die Pflicht, Mehrkosten zu übernehmen. Im Finanzierungsvertrag wird eine solche Pflicht in Form der Sprechklausel lediglich informell angedeutet, was von einem Gericht vermutlich lediglich als Absichtserklärung und nicht als Pflicht gedeutet würde. Der Grund für diese alberne Klausel dürfte in der Absicht der damaligen Landesregierung liegen, die Bodenlosigkeit des Fasses S21 vor den Bürgern zu verbergen. Und diese Blöße nutzt nun die neue Landesregierung mit ihrem Kostendeckel, vermutlich zum großen Verdruss auch der SPD-Führung im Landtag. Der Kostendeckel ist der Strich durch den schamlosen Finanzierungsvertrag.
Die Chuzpe, mit der hier das Volk für dumm verkauft wurde und wird, und nicht nur das Volk, ist nicht  strafbar.  Strafrechtlich haben wir gegen derartige Willkür nichts zu bestellen. Der einzige Weg, die Verantwortlichen zu „bestrafen“, so dass sie es heilsam fühlen ist: sie nicht durchkommen lassen mit ihrem Modelleisenbahnprojekt. Das täte ihnen sicher sehr weh. Mit dem Weiterbau und dessen Finanzierung aber würde der Betrug nur belohnt.

Montag, 11. März 2013

(7) Nur keine Bange!


Nur keine Bange!

Seit den Entscheidungen der Bundesregierung und ihres Aufsichtsrates zu Stuttgart 21 steht für mich fest: S21 wird die Bundestagswahlen nicht lange überleben. Unter einer Bedingung: Unser Kampf wird mutig zu Ende geführt.

Viele fürchten: Das war’s jetzt, und genau das sollen wir denken. Dazu wurde der „Zirkus Aufsichtsrat“ veranstaltet. Deswegen fordert Grube auch von uns, S21 nicht zum Wahlkampfthema zu machen, und gibt uns damit einen versteckten Hinweis darauf, was wir tun sollten. Danke, Herr Grube!

Gründe:
1.  Der „Zirkus Aufsichtsrat“ war eine Propagandaveranstaltung mit dem Zweck der Einschüchterung politischer Gegner. Sie  hatte die Funktion, das Thema S21 wenigstens bis zur Bundestagswahl von der politischen Bühne zu fegen. Die vom Aufsichtsrat genehmigten und zugeschossenen zwei  Milliarden Euro des Bundes für S 21 sind sozusagen ein in den Büchern dann nicht auftauchender selbstgenehmigter Vorschuss auf die Wahlkampfkostenerstattung nach der Bundestagswahl. 
2.  Alle, die es wissen sollten, auch die es nicht wissen wollten, wissen inzwischen:   Die Realisierung des Projekts würde 15 bis 20 Milliarden Euro kosten. Die Hauptrisikofaktoren sind die Stuttgarter Geologie und die Stuttgarter Protestbewegung. So viel  können jedoch  weder der Bund noch das Land für S21 abdrücken und politisch vertreten. Zwei Milliarden sind inzwischen schon zu viel.
3.  Der rechtlich zentrale Finanzierungsvertrag vom 02.04.2009 ist ein erpresserischer und betrügerischer Vertrag, und das würde bei einer auf ihn gestützten Klage ans Licht der Öffentlichkeit kommen. Am meisten zu fürchten hätten das CDU, FDP und SPD. Nicht weil er rechtswidrig ist, sondern aus politischen Gründen  wird es eine solche Klage deswegen auch nicht geben.
4.   Sicherlich nicht zufällig hat Grube als Jahr einer ersten möglichen Klage auf Grundlage der Sprechklausel das Jahr 2016 genannt. In dem Jahr findet die nächste Landtagswahl statt. Die CDU würde als Regierungspartei den Vertrag sicherlich liebend  gern erfüllen. Sie hat ihn ja gemacht und hauptsächlich zu verantworten. Dann bedürfte es  auch keiner Klage. Aber auch sie würde  die Vertragserfüllung wohl kaum noch riskieren, wenn der Charakter des Vertrages vorher  bekannt geworden ist. Dafür zu sorgen wäre  allerdings  unsere Aufgabe.
5.  Die SPD des Landes, die mehr im Hintergrund waltende heutige Schutzpatronin des Projekts, bewegt sich auf inzwischen sehr, sehr dünnem Eis. Sie ist Hauptverantwortlicher für die kostspielige, Verschuldung nicht bremsende, sondern beschleunigende  und nervenaufreibende Hinhaltetaktik der grünrosa Landesregierung („Keine Ausstiegsdebatte!“), und sie zieht die Grünen immer tiefer mit sich in den Sumpf der wie Malaria um sich greifenden Unaufrichtigkeit im Lande, die keineswegs nur von der Bahn ausgeht. So opfern die Grünen dem Koalitionsfrieden den wichtigeren Frieden im Lande, dem gegenseitigen Vertrauen . Bestes Beispiel dafür ist die von der SPD initiierte betrügerische Volksabstimmung, die von den Grünen nun mit weiteren Betrügereien und Rechtsbrüchen aufrecht erhalten und durchgestanden  wird. Auch diese Rechtfertigung von S21 sollten wir durchkreuzen.
6.  Was regelmäßige und aufmerksame Leser von Zeitungen beobachten können: Auch bei langjährigen Befürwortern des Projekts sind inzwischen manche Tatsachen angekommen und gespeichert worden. Sie hören inzwischen auch auf uns. Mir scheint, sie haben manchmal schon mehr Respekt vor uns und unserer Sache als wir selbst. Der Wind hat sich um 90 Grad gedreht. Tragen wir dazu bei, dass er sich noch einmal um 90 Grad weiter dreht!
Reinhart.vowinckel@web.de               Zur Lage und Taktik 7.1                                  11.03.2013

Montag, 4. März 2013

Hans Filbinger


Hans Filbinger war wie sein Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger in der Zeit des Nationalsozialismus Mitglied der NSDAP und hatte als  Rechtsstudent  in einer Studentenzeitung 1935 die Nürnberger Rassegesetze enthusiastisch gefeiert, weil sie ihrer Bestimmung nach statt der Freiheitsrechte des Einzelnen die „Volksgemeinschaft“ durch einen „starken Staat“ schützten. Ihr Geist werde jedoch nur durch „lebendige Richterpersönlichkeiten“ in das Volk hineingetragen, meinte er.  Er wurde Marinerichter, auch um den Frontkampf zu vermeiden.
Von 1966 bis 1978 war er CDU-Ministerpräsident im Ländle, bis im Jahr 1978 bekannt wurde, dass er in den Kriegsjahren als Marinerichter an mehreren Todesurteilen wegen „Fahnenflucht“ oder „Kriegsverrat“ beteiligt gewesen war, damals die einzige Möglichkeit der „Wehrdienstverweigerung“. Ein solches Urteil fand sogar erst nach Kriegsende statt.
An die Todesurteile, an denen er beteiligt war, erinnerte sich Filbinger jedoch angeblich nicht, bis beweiskräftige Dokumente ihn überführten. Er aber sah sich  sogar als Anhänger des Widerstands, der im übrigen doch nur die gültigen Gesetze ausgeführt habe. Deswegen attestierte Erhard Eppler (SPD), damals Oppositionsführer im Landtag, dem Ministerpräsidenten ein „pathologisch gutes Gewissen“, und Theo Sommer, Redakteur der „Zeit“, ergänzte ein „pathologisch schlechtes Gedächtnis“. Gutes Zureden auch von Parteifreunden, doch wenigstens Mitgefühl mit den Hinterbliebenen zu zeigen, habt nichts gefruchtet. In seinem elitären Selbstbewusstsein und Sendungsbewusstsein nahm er die Sensibilisierung gegenüber Gegnern und Feinden nicht wahr, die seit dem Zusammenbruch 1945 in der Gesellschaft der Bundesrepublik stattgefunden hatte. Er sah sich bis zu seinem Tod im Jahr 2007  als politisch „zu unrecht Verfolgter“. Ein Jahr nach seinem Rücktritt wurde er zum Ehrenvorsitzenden der Landes-CDU ernannt, die ihn so sah wie er sich selbst.
Damals ging es letztlich um die Frage, ob „Fahnenflucht“ oder „Kriegsverrat“ in jener Zeit des Raub- und Rachekrieges als eine Form des „zivilen Ungehorsams“ oder des Widerstands gegen ein klar als solches erkanntes Unrechtsregime nicht auch ehrenhaft war, ehrenhaft wie der einer Sophie Scholl oder eines Grafen Stauffenberg. Oder auch der Widerstand der vielen ermordeten anonymen Arbeiter, die Sabotage geleistet haben. Oder, noch vermessener gedacht, genauso ehrenhaft  oder gar ehrenhafter  als „Manneszucht“ und „Heldentod fürs Vaterland“.
Tatsächlich hat der Bundesgerichtshof  erst im Jahr 1995 festgestellt, viele der damaligen Richter, die in der Bundesrepublik weiter amtiert haben, hätten eigentlich „wegen  Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapitalverbrechen“ strafrechtlich verfolgt werden müssen. Etwas, das Oberstaatsanwalt Häußler in Sachen Massentötungen von Frauen und Kindern durch deutsche Soldaten in Sant’ Anna die Stazzema in Italien trotzdem immer noch verweigern kann und, wie er meint, nach deutschem Recht muss.
Deswegen wurden wenigstens im Jahr 2002  durch ein Bundesgesetz alle sogenannten Deserteure rehabilitiert und deren Hinterbliebene durch Anspruch auf eine Rente entschädigt.  Und im Jahre 2009 hob der Bundestag einstimmig auch alle wegen sogenannten „Kriegsverrats“ gefällten NS-Urteile auf.   64 Jahre also hat der Prozess einer historischen Selbstbesinnung und neuen, zukunftsfähigen Bewusstseinsbildung mit happy end gedauert. Doch nicht zu sicher sein! Noch 2007 hat Ministerpräsident Oettinger in seiner Trauerrede zu  Oettingers Tod  Filbinger als „Gegner des Nationalsozialismus“ verherrlicht, woraufhin er von der Bundeskanzlerin dann doch lieber nach Brüssel abgeschoben und so aus dem Verkehr gezogen wurde, freilich nachdem er vorher noch den Finanzierungsvertrag zu S21 und als Nachfolger Mappus geboren hatte. Also: Um mit Brecht zu sprechen, bei allem fortschritt: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ (hier  berichtet nach Wikipedia)

(6) Was ist demokratisch?

Was ist demokratisch?                                             Z ur Lage und Taktik 6   

Im 5. Teil meiner Überlegungen zur Lage und Taktik zu S21 habe ich eine Analyse des Finanzierungsvertrags vorgelegt, die ich hier noch einmal zusammenfasse und durch neue Informationen ergänze.
1. Der Vertrag stammt mutmaßlich aus der Feder des Bundesfinanzministeriums und sichert vor allem die Interessen des Bundes gegenüber denen des Landes Baden-Württemberg ab. Die geplante Finanzierung gliedert sich in zwei Inhalte. Im ersten Teil ist die Finanzierung von ca. 4,5 Milliarden Euro (Obergrenze) des geplanten „Gesamtwertumfangs“, auf die Projektpartner verteilt,  festgelegt. Die Übernahme weiterer Kosten ruht auf vier Säulen:
A) Für Bahn und Bund sind Kostenrisiken ausgeschlossen. (Kernbestimmung des Vertrags). Das heißt, Land, Region und Stadt tragen sämtliche Kostenrisiken.
B.) Ausgeschlossen ist auch das Recht auf „ordentliche“ Kündigung durch einen   Vertragspartner. 
C) Ausgeschlossen ist auch ein vorzeitiger Abschluss und Rückbau des Projekts.
D) Bei unvorhergesehenem Finanzbedarf beraten sich die Partner. („Sprechklausel)
Der Vertrag ist also auf Unumkehrbarkeit angelegt. Bund und Bahn haben offensichtlich darauf vertraut, dass die drei Projektpartner Land, Region und Stadt jeden Preis zahlen würden. Und das konnten sie auch, weil ein paar schwäbische Möchtegernglobalplayerle den Bahnhof mit aller Gewalt haben wollten. Wenn die Bahn die „Sprechklausel gezogen“ hätte, hätte jede CDU/FDP-Koalition und auch jede CDU/SPD-Koalition sie – selbstverständlich dezent - bedient.
Das zeigen Aussagen wie die von Peter Hauk, dem Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion: “Ob das jetzt 10 oder 15 Milliarden kostet, kann Baden-Württemberg wurscht sein“, oder FDP-Stadtrat Michael Conz: “Ich würde Stuttgart 21 sogar bauen, wenn es eine Billion Euro kosten würde!” oder  CDU-Kreischef Stefan Kaufmann, Bundestagsabgeordneter Stuttgarts und Mitglied des Verkehrsausschusses des Bundestags: „Als Stuttgarter sage ich: Auch wenn es richtig teuer wird – wir sollten es machen. Wir zahlen in den Länderfinanzausgleich. Jetzt kriegen wir einmal was zurück - und dann wollen wir es nicht haben.“  Und ähnlich Signale kommen fast täglich vom SPD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag Schmiedel.  
Die veröffentlichten Gesamtkostenrechnungen waren also nie ernst gemeint. Ernst gemeint war hingegen die alberne „Sprechklausel“. Nun nimmt jedoch die heutige Landesregierung unter Führung der Grünen mit dem gemeinsam beschlossenen Kostendeckel ausgerechnet die Sprechklausel nicht ernst, dafür aber die vereinbarte Gesamtkostenrechnung. So kann es gehen im Leben. Ironie der Geschichte eines Betrugs. Man muss nur eine kleine Rechnung anstellen, um den Täuschungscharakter aller bisherigen Kostenobergrenzen zu erkennen. Insgesamt werden für Stuttgart 21 und die Hochgeschwindigkeitstrecke laut Anton Hofreiter, Vorsitzender des  Verkehrsausschusses des Bundestags, 59 Planfeststellungsbeschlüsse benötigt. Erst mit ihnen wäre eine wirklich belastbare Kostenkalkulation möglich. Dementsprechend heißt es ja auch in der „Rahmenvereinbarung“ von 1995 (§ 6): „Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß für das Gesamtprojekt  eine Finanzierungsvereinbarung  nach Abschluß des Planfeststellungsverfahrens zu treffen ist.“ Nach Abschluss, nicht vorher! Bisher liegen jedoch erst 32 Teilplanfeststellungen   vor. Das heißt, die entscheidende Voraussetzung für eine Finanzierungsvereinbarung ist noch auf unabsehbare Zeit gar nicht gegeben. Schon aus diesem Grunde wird die Deutsche Bahn sich hüten, mit ihrer vermeintlichen Trumpfkarte namens Sprechklausel vor Gericht zu ziehen.
 
Eine viel größere Gefährdung des Projektendes scheint mir von einem zweiten,  angeblich alle Welt verpflichtenden Dokument und dem von ihm ausgehenden Vorgang herzurühren, der uns ähnlich stark beschäftigt wie der Finanzierungsvertrag. Das ist die Volksabstimmung.
(Ich sehe jetzt schon einige Leser genervt aufstöhnen: „Nein! Nicht schon wieder die VA!“ Aber das macht nichts. Wer so aufstöhnt und meint, er weiß schon alles, hat sich seinen Frust redlich verdient. Im Mittelpunkt meines Statements Nr. 6 soll die Frage stehen: Was ist demokratisch? All die, die sich pro S21 oder auch pro Landesregierung auf die VA berufen, wissen es nicht oder wollen nichts davon wissen. Ich möchte hier eine Debatte anstoßen, wie wir uns mehr Demokratie vorstellen.)

Demokratie?                                                                                                  
Dass das Thema Demokratie durchaus ein heißes Eisen ist, wird  deutlich am Verhältnis z. B. des Landes-CDU-Chefs Thomas Strobl zu unserer  Protestbewegung gegen S21. Er stellte seinerzeit den öffentlichen Vergleich Walter Sittlers mit Nazipropagandisten im Hause Göbbels an. Die Süddeutsche leitete am 03.11.2010 ihren Bericht über Strobl ein mit den Worten „Entgleisung statt Entspannung“.  Auf Druck auch aus seiner eigenen Partei musste Strobl den Vergleich mit Nazis zwar zurücknehmen, aber in einem anderen Punkt blieb er stur. Angesprochen auf seine Behauptung, Sittler habe ein „falsches Demokratieverständnis“, habe er trotzig erwidert: „Dieser Kritik habe ich nichts hinzuzufügen und nichts davon wegzunehmen.“ Da kann ich nur sagen: Schade! Sehr schade! Warum nicht mal die eigenen  „Hosen runterlassen“, wie er es neulich von der Führung der Grünen verlangt hat,  und erklären, was denn für einen Thomas Strobl und seine Partei so das „richtige Demokratieverständnis“ ist. Ich nehme an, er verordnete sich selbst einen Maulkorb, weil seine Antwort darauf auch politisch nicht ganz „stubenrein“, weil autoritär  geraten wäre. Ich meine jedoch, die Protestbewegung hat ein Recht auch darauf zu erfahren, was der Vorsitzende der stärksten Partei im Lande eigentlich für das richtige Demokratieverständnis hält. Dabei könnte ich mir sogar vorstellen, dass sie durchaus  mehrheitsfähig, wenn auch dadurch noch lange nicht richtig ist. Ich denke, wir stehen noch ganz am Anfang einer längs überfälligen Debatte, die noch Jahrzehnte in Anspruch nehmen könnte. Für die, die sich ein Bild davon machen möchten, wie langwierig solche Wertedebatten sein können, hänge ich ein Dossier zur „Affaire Filbinger“ an, auch ein ehemaliger CDU-Ministerpräsident  Baden-Württembergs. Es ist ein Beispiel für eine letztlich gelungene Wertedebatte.
Um verständlicher werden zu lassen, warum und wie ich die Volksabstimmung noch einmal ins Spiel bringe, zunächst ein paar Thesen zum Thema.   

Elemente (m)eines Begriffs von Demokratie
Demokratie ist ein System des sozialen und politischen Ausgleichs der Interessen und Wertvorstellungen aller gesellschaftlichen Gruppen. Der Sinn und Zweck demokratischer Prozesse ist die Befriedung gesellschaftlicher Konflikte.
Gehen wir vom Wortursprung im Griechischen aus, so heißt Demos so viel wie Stadtgemeinde oder - sehr frei übersetzt - Volk. Kratia übersetzen wir mit Herrschaft. Demokratie heißt  also, so viel weiß jeder, „Herrschaft des Volkes“. Was aber bedeutet Herrschaft des Volkes? Herrschaft über wen oder was? Vielleicht über andere Völker? Oder über Minderheiten, die nicht zum Volk gezählt werden?  Nein, Demokratie meint Herrschaft des Volkes über sich selbst. Man könnte also das Wort Demokratie auch mit dem Wort Selbstbeherrschung eines Volkes übersetzen, so wie ein gesunder Geist frei über die Gliedmaßen und Funktionen seines Körpers verfügt und ihre Aktivitäten koordiniert und steuert.
Zu einem wirklich freien und demokratischen Meinungs- und Willensbildungsprozess gehören Alternativen und die Umkehrbarkeit einmal getroffener Entscheidungen,  sachgerechte Information und Transparenz. Intransparenz ist ein Treibhaus für Korruption und damit für autoritäre Strukturen. Das Fehlen von sachlichen Alternativen ist in der Regel Anzeichen eines Diktats. Die Übergänge zwischen Diktaten und einer Diktatur sind fließend.
Den meisten fällt zu der Frage, was Demokratie ist, jedoch vor allem eines ein: Die Mehrheit entscheidet. Das allein ist aber nicht demokratisch. Auch in Diktaturen gibt es Mehrheitsentscheidungen. Auch eine Mehrheit kann eine Diktatur ausüben, wie die Deutschen von 1933 bis 1945 in Deutschland und dem von Deutschland besetzten Europa über die deutschen und die nichtdeutschen Juden, die schließlich in deren Ausrottung überging. Die demokratische Mehrheitsentscheidung schließt einen ebenso demokratischen Diskussions- und Willensbildungsprozess ab, in dem das Prinzip der Gleichheit aller an Rechten herrscht, wie z. B. auch,  was den Zugang zu Informationen angeht. Eine Mehrheitsentscheidung allein als Aufpfropfung auf einen autoritären  Prozess der Vorbereitung der Entscheidung, wie z. B. die VA zu S21,   schafft, wie alle Welt erkennen konnte,  keine Befriedung. Und ein Planfeststellungsverfahren, in dem Bürger zwar Verbesserungsvorschläge, aber keine Alternativvorschläge einbringen dürfen, ist kein demokratisches Verfahren.
Eine Demokratie kommt nicht ohne Wahlen von Repräsentanten und Delegierten, das heißt auch nicht ohne Führung aus. Führung ohne demokratische Kontrolle und Wahl, z. B. nach dem Motto „Wer macht, hat Macht.“ ist realistisch, aber auch  autoritär und das heißt nicht demokratisch. Nach dem Motto versucht z. B. die Deutsche Bahn, möglichst vollendete Tatsachen zu schaffen.

Volksabstimmung und  Demokratie

Warum verstecken sich Kretschmann und seine Satelliten bis hinein in die Justiz unter Vorspiegelung falscher Tatsachen  hinter der Volksabstimmung und hängen ein demokratisches Mäntelchen über einen autoritären Körper?

1. Zahlen

An der Volksabstimmung haben sich ca. 49 Prozent der Stimmberechtigten beteiligt. 51 Prozent haben gar nicht Stellung bezogen. Ca. 59 Prozent der 49 Prozent Abstimmenden, also
knapp 30 (28,8)  Prozent der Stimmberechtigten  haben mit Nein zum von der Regierung vorgeschlagenen Gesetz zur Kündigung des Finanzierungsvertrags gestimmt.
Trotzdem spricht Kretschmann ständig von der „Mehrheit der Bevölkerung“.

2. Das Verhältnis des Ministerpräsidenten zum Rechtsstaat

Am 29.10.2011 also einen Monat vor der Volksabstimmung, veröffentlichte die Stuttgarter Zeitung ein Interview mit Ministerpräsident Kretschmann, in dem er gefragt wurde: „Wie halten Sie es, wenn sich eine Mehrheit für die Kündigung ausspricht, aber das Zustimmungsquorum verfehlt wird?“  Die Antwort lautete: „Dann ist das Kündigungsgesetz trotzdem gescheitert. Die Verfassung sieht ein Zustimmungsquorum von einem Drittel der Wahlberechtigten vor, und die Verfassung gilt.“ Bei anderer Gelegenheit fügte er hinzu, für ihn gelte Recht und Gesetz. Nach Recht und Gesetz ist jedoch die gesamte Volksabstimmung, wie von Anfang an nicht anders zu erwarten, gescheitert. Die  Landesabstimmungsleiterin Friedrich hat dementsprechend mit der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses der Volksabstimmung  ausdrücklich klargestellt: „Nachdem die Gesetzesvorlage die nach der Landesverfassung erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht hat, hat sich insoweit auch keine Änderung der Rechtslage ergeben.“ Also gelten Recht und Gesetz für Kretschmann offensichtlich hier nicht. Sie gelten vielmehr da, wo er das für richtig hält, wie das im Absolutismus bei den „Landesvätern“ durchaus üblich war.
Das Geltenlassen  der einfachen Mehrheit in der Abstimmung hätte bei einer Ja-Stimmenmehrheit den Projektgegnern geholfen. Für sie wollte Kretschmann jedoch die einfache Mehrheit nicht gelten lassen, wie er schon vor der VA vorbeugend ankündigte. Angeblich weil das gegen „Recht und Gesetz“ verstoßen hätte. Nachdem nun aber die Nein-Stimmen in der einfachen Mehrheit waren, lässt er diese als „legitimierend“ gelten, gegen Recht und Gesetz! Das ist ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz „Gleiches Recht für alle“ und die Landesverfassung und zeigt, dass Recht und Gesetz für ihn taktische Verhandlungssache sind.  (Das Gleiche kennen wir ja von der Mischfinanzierung.)
Hinzu kommt, dass es in der VA um eine angebliche Wahrnehmung von Kündigungsrechten ging, die es, so viel ist nach der Analyse des Finanzierungsvertrags klar, gar nicht gibt. Das heißt aber, selbst wenn die Projektgegner das Ja-Stimmen-Quorum geschafft hätten, auch dann hätte die SPD, die Erfinderin dieses Verfahrens, gewonnen, denn ein Kündigungsrecht, das es nicht gibt, kann auch nicht wahrgenommen werden. Die VA war also die Neuauflage des Rennens zwischen dem Hasen und dem Schweineigelpaar.
Trotzdem behauptet Kretschmann immer wieder und kann mit Unterstützung auch z. B. der CDU unwidersprochen behaupten:  Die Abstimmung hat das Projekt legitimiert, die Landesregierung ist an das offizielle Votum gebunden.“? Und kein Aufschrei ging je durchs Land, nicht einmal durch unsere sonst so lautstarke Protestbewegung. Um es mit Shakespeare zu sagen: Da ist etwas faul im Staate Baden-Württemberg.


3. Das Verhältnis der Stuttgarter Justiz zum Rechtsstaat

Wie sehr, das zeigt für mich vor allem ein Blick auf unsere Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Auch sie hat sich bereits offiziell der vom Ministerpräsidenten des Landes verbreiteten Legende von der Rechtsverbindlichkeit der Mehrheit der Neinstimmen in der VA angeschlossen. Schließlich bedeutet Demokratie auf Schwäbisch doch „Mehrheit ist Mehrheit“.
Beispiel 1
Von den Stuttgarter Nachrichten in einem Interview (18.12.2012)  angesprochen auf seinen „harten“ Umgang mit Projektgegnern und einen vergleichsweise „zarten“ Umgang mit Polizisten, erklärte Oberstaatsanwalt Häußler: „ Mit der Volksabstimmung ist für uns eine Änderung eingetreten. Das Volk hat entschieden, das Projekt war legitimiert. Die folgenden Blockaden betrachten wir daher als Verhinderungsblockaden.“  Das heißt, auch symbolische Blockaden zum Ausdruck einer Meinung werden grundsätzlich als Nötigung behandelt, obwohl m. W. keine Nötigung vorliegt, wenn der Betroffene Handlungsalternativen hat. Und wie das „Wir“ zeigt, ist diese Rechtsauffassung in der Stuttgarter Staatsanwaltschaft  Konsens. Für mich sind damit alle Staatsanwälte in Stuttgart befangen. An wen können wir uns da eigentlich noch unbefangen wenden?

Beispiel 2
Ein Oberstaatsanwalt Rörig schreibt am 23. Februar 2012 im Auftrag der Generalstaatsanwaltschaft (!) in seiner Zurückweisung einer Rechtsbeschwerde, dass es  „nicht nachvollziehbar ist, das Ergebnis der demokratischen Volksabstimmung weiterhin in Zweifel zu ziehen.“  Niemand hat das Zahlenergebnis in Zweifel gezogen, das die  rechtliche Folgenlosigkeit der Abstimmung bedeutete.

Beispiel 3
In einer Verfügung vom 05.11.2012 gegen die Annahme einer Anzeige schreibt Oberstaatsanwalt Häußler: „Die im Land zur Volksabstimmung gestellte Gesetzesvorlage  … wurde am 27.11.2011 mit der Mehrheit von 58, 9 % der gültigen Stimmen  abgelehnt …. Deshalb kann der Gesetzgeber auch in freier Entscheidung die Anfechtung oder Kündigung des Finanzierungsvertrages unterlassen, wobei vorliegend diesbezüglich sogar eine unmittelbare Entscheidung des Volkes ergangen ist.“  Eine unmittelbare, also direktdemokratische Entscheidung des Volkes hat eben nicht stattgefunden. Das Ergebnis war nicht mehr als eine unverbindliche Meinungsumfrage.

Beispiel 4
In der Subventionsentscheidung der EU-Kommission vom 12.12.2008 für  S21 steht:  Hauptziele der Maßnahme“: „Stuttgart 21 hat  als Durchgangsbahnhof  die doppelte Leistungsfähigkeit und ermöglicht Fahrzeitgewinne.“ In seiner Zurückweisung einer Strafanzeige wegen Subventionsbetrugs der Bundesregierung gegenüber der EU vom 12.12. 2012 meint OStA Häußler ohne Verweis auf eigene Untersuchungen, es sei  nicht anzunehmen, dass den Subventionsgebern unrichtige oder unvollständige Angaben zur Kapazität des Durchgangsbahnhofs vorgelegt wurden.“  

Zwischenzeitlich hat sich nicht nur der Generalstaatsanwalt, sondern auch der Landesjustizminister Rainer Stickelberger hinter Oberstaatsanwalt Häußler gestellt. Und das ist ja auch nicht verwunderlich, geht der eigenwillige Rechtsbegriff all dieser Herren doch vom Herrn Ministerpräsidenten und Landesvater höchstpersönlich aus. Da nimmt man schließlich im ordnungsliebenden Schwabenland schon die Hacken zusammen.

Inzwischen haben unsere Blockierer die Folgen unserer fatalen Toleranz gegenüber der grünrosa Legende  von der legitimierenden demokratischen Entscheidung  zu spüren bekommen. Wenn wir die SPD im Lande  als vermutlich Hauptverantwortlichen weiter so tolerant gewähren lassen, dann wird noch viel Wasser des Neckar auf die Mühlen der Projektbetreiber fließen, denn nur wenige im Lande durchschauen das Spiel. Die Medien z. B. gehören bisher auch nicht dazu.
Vor allem die SPD im Bunde sollte erfahren, welches   Spiel die Landes-SPD in ihrer Unterdrückung einer Aussteigerdebatte, also jeder Alternative zu S21, spielt.